Einmal Gentrifizierung mit Joghurtsosse

Wenn Straßenlaternen einen Wollschal tragen, ist das süß. Wenn Mieter aus ihren angestammten Wohnungen ausziehen müssen, ist das bitter. Aber beides ist ein Anzeichen sogenannter Gentrifizierung – genau wie die Falafel.

Ein Gespenst geht um in den Großstädten Europas, ein Gespenst namens Gentrifizierung. Es verjagt die ärmeren Einwohner und lockt neue wohlhabende, es treibt die Mieten, es fasziniert und erschreckt Politiker und Forscher. Als die marxistische Soziologin Ruth Glass den Begriff Anfang der 1960er Jahre prägte, ahnte sie wahrscheinlich nicht, welche Kreise dieses Wort ziehen würde. Kreise, die heute bis weit in den Kölner Norden reichen, wo Havkar Jalal in einer Imbissbude Falafel in siedendes Bratfett gibt.

Die schnelle Mahlzeit aus frittiertem Kichererbsenmuß trägt dazu bei, einen Stadtteil aufzuwerten. Davon jedenfalls ist die Stadt- und Kulturgeographin Miriam Stock überzeugt. Die Falafel sei günstig, vegetarisch und stehe für einen ungewohnten Lebensstil, schreibt sie ihrer Arbeit „Der Geschmack der Gentrifizierung.“ Und damit sei sie wie geschaffen für jene urbane Avantgarde, die am Ende der Gentrifizierung dort die Wohnungen bezieht, wo vorher einfache Menschen wohnten.

Seit 2008 gibt es Havkar Jalals Dunya Imbiss in der Krefelder Straße, unweit des Kölner Hansarings. Ein paar Häuserecken weiter musste Kalle Gerigk seine Wohnung verlassen – gegen die Zwangsräumung des 54-Jährigen gab es bundesweit Protest, Gerigk und das Kölner Agnesviertel wurden zu Symbolen der Stadtteilaufwertung: Gerigks Vermieter wollte die Wohnung in dem verkehrstechnisch gut angebundenen Quartier mit den Gründerzeit-Stadthäusern und dem hippen Charme selber nutzen. Klare Sache. Genau so eindeutig war die Sache aber für Gerigk; er wohnte seit mehr als 30 Jahren in dem Stadtviertel, mit der Kündigung seines Mietvertrags sah er sich aus seiner gewohnten Umgebung vertrieben. Dieser Ansicht waren auch mehrere hundert Demonstranten, die die Zwangsräumung verhindern wollten. Es half alles nichts, die Polizei stürmte die Wohnung.

Inzwischen ist der kleine Häuserkampf vergessen, aber er geht wohl ganz alltäglich weiter: An einem Donnerstagabend stehen etwa fünf Leute beim Dunya-Imbiss an und warten auf ihr Falafel-Sandwich. Das Publikum sei eigentlich bunt durchmischt, aber Falafel bestellten vor allem junge Menschen. Jalal rollt die frittierten Kichererbsenbällchen zusammen mit arabischem Taboulé und Karottenstreifen in ein Fladenbrot. Ein bis zwei Schüsseln mit dem Kichererbsenmuß leert er täglich, sagt er. „Das sind gesundheitsbewusste Menschen, die bei uns Falafel essen“, ergänzt Jalals Arbeitskollege.

Falafel? Die kaufen “hippiemäßige Leute”

Für ihre Dissertation hat Kulturgeographin Stock mit knapp zwanzig Imbissbesitzern gesprochen. Ihr Ergebnis: In Berlin sind Falafel-Läden immer dort entstanden, wo sich Stadtviertel im Aufwertungsprozess befanden. Menschen mit arabischem Hintergrund und ohne Job hätten sich in den Vierteln mit günstigen Mieten selbstständig gemacht. Die Falafel habe den Geschmack der Studenten und einer kulturschaffenden Bohème getroffen. Sie hatten die Altbauquartiere wieder entdeckt und legten Wert darauf, sich von der Mehrheitsgesellschaft abzuheben – etwa durch „ethnisch vermarktetes Essen“. Die Falafel-Läden wurden zu einem Motor der Gentrifizierung.

Doch lässt sich das gleiche Schema auch für Köln nachzeichnen? Der Dunya-Imbiss ist einer der wenigen Läden in Köln, die Falafel selber herstellen. Am Rande des Kölner Agnesviertels und unweit des Stadtteils Nippes, ist der Laden immer gut besucht. Gastrokritiker vom Kölner Stadtanzeiger loben das Essen hier. „Wir verkaufen auf jeden Fall mehr Falafel als noch am Anfang im Jahr 2011“, sagt Mitarbeiter Sarjas Hussein. Ob ein paar der Kunden wohl aus den Studenten-WGs kommen, deren Entstehung er hier beobachte? Eine Wohnung in dem Stadtteil kostet laut dem Suchportal immoscout24 durchschnittlich etwa 12 Euro pro Quadratmeter, im Jahr 2009 waren es noch 9,30 Euro.

Wie werden Falafel hergestellt? Erfahren Sie es in unserer Bilderstrecke:

Auch ein paar Kilometer weiter östlich, im rechtsrheinischen Stadtteil Kalk ist die Gentrifizierung schon spürbar. Belege für Stocks These finden sich entlang der Kalker Hauptstraße: Eigentlich würden nur deutsche Kunden Falafel bestellen und mehr Frauen als Männer, heißt es etwa beim Nimet Grill. „Schlecht angezogene Leute“ seien das, sagt der Verkäufer von der Bude nebenan, „so hippiemäßige.“

Das Falafel-Paradoxon

Dazu passt, was Forscherin Stock in Berlin beobachtet hat: Gäste in Falafel-Imbissen seien überwiegend Angehörige einer europäischen, jungen Mittelschicht, obwohl das Essen von der Mehrheit als etwas „typisch Orientalisches“ wahrgenommen werde. Und: Das Paradoxe an der Falafel sei, dass diejenigen, die sie produzieren, selten gleichzeitig die Konsumenten sind.

Allerdings hat in Kalk bisher keine Bude aufgemacht, die ausschließlich Falafel verkauft. Wenn, dann gibt es die Kichererbsenbällchen nur in türkischen Imbissen und Bäckereien, wo sonst Döner und Fladenbrote über die Theke gehen – und die Kichererbsenbällchen kommen tiefgekühlt in den Geschäften an und werden nicht von den Verkäufern selbst hergestellt. Auch das sagt etwas aus über die Gentrifizierung: Kalk steht noch am Anfang. Genau wie die Mieten: Die sind in Kalk zwar ebenfalls gestiegen, liegen aber mit 7,90 Euro pro Quadratmeter noch unter dem Durchschnitt Kölns von 8,20 Euro.

Statistische Schwierigkeiten

In Kalker Imbissbuden läuft türkische Pop-Musik und die wird gerne auch mal etwas lauter aufgedreht. Bei Habibi in der Zülpicher Straße klingt leise Oud-Musik aus den Lautsprechern. Der Klang der kleinen arabischen Laute mischt sich unter das Stimmengewirr der Studenten, die sich über die runden Tische mit den bunten Mosaik-Steinchen hinweg unterhalten – fast alle essen hier Kichererbsen. Die Universität liegt 500 Meter weiter, auf dieser Straße reihen sich gleich drei Falafel-Imbisse aneinander – ohne dass in dem hier besonders viele Migranten leben würden. Die Falafel, das merkt man auch hier, folgt ihren Liebhabern.

Umgekehrt lässt sich aus der Zahl der Migranten aus dem arabischen Raum nicht auf die Zahl der Falafel-Geschäfte schließen. Vergangenes Jahr hatten etwa 200 Menschen in Nippes eine irakische oder iranische Einwanderungsgeschichte, weitere 220 kamen aus Tunesien und Marokko. In Kalk waren es für diese vier Länder rund 1400 Menschen. In Kalk gibt es auch mehr Menschen mit türkischen Wurzeln. Trotzdem gibt es in Nippes mehr Falafel zu kaufen.

All das passt in jenes Bild, das Miriam Stock für Berlin zeichnet: In der Hauptstadt sei die Rolle der Falafel-Imbissbesitzer bei der Analyse der Gentrifizierung konsequent unterschätzt worden, konstatiert die Soziologin. Ihre Restaurants seien weniger als Resultat ökonomischen Kalküls, sondern als Ausdruck ihrer ethnischen Identität angesehen worden. Ein Fehlschluss – wie sich auch in Köln beobachten lässt.

Auf den Spuren der Falafel ist inzwischen auch die Kölner Stadtverwaltung. Das Kölner Amt für Stadtentwicklung und Statistik versucht die Gentrifizierung in Köln zu messen, um jene Menschen zu schützen, die sich höhere Mieten oder sanierte Luxuswohnungen nicht leisten können. Dabei nehmen die Beamten auch die Gastronomie unter die Lupe. Wer weiß: Vielleicht werden sie schon bald an der Theke von Havkar Jalal in der Krefelder Straße stehen. Und Falafel bestellen.


Cem über die Recherche: “Gegen steigende Mieten Falafel zum Selbermachen: Vorgekochte Kichererbsen, Petersilie, Knoblauch, Zwiebel (jeweils fein gehackt) zusammenschmeißen, mit Zitronensaft, Koriander und Kumin abschmecken und kurz frittieren. Dazu passt ein Soja-Latte.”

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